Dimensionen
Das Besondere der Ernährungsökologie ist die Einbeziehung vier verschiedener Dimensionen:
- ökologische Dimension, betrifft die globale Umwelt, d. h. die Verantwortung für den natürlichen Lebensraum
- ökonomische Dimension, die Ebene der Wirtschaft ist mit all diesen Prozessen eng verflochten.
- soziale Dimension, bezieht die Gesellschaft, d. h. die Verantwortung für unsere Mitmenschen mit ein - und zwar weltweit
- gesundheitliche Dimension, bezieht sich auf jeden einzelnen Menschen, also auf die individuelle Ebene
In der Ernährungswissenschaft werden derzeit vielfach die gesundheitlichen Aspekte in den Vordergrund gestellt und die anderen Dimensionen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Ernährungsempfehlungen beruhen weitestgehend auf ernährungsphysiologischen sowie hygienisch-toxikologischen Betrachtungen – im Sinne einer Gesundheitsprävention. Um aber Umweltschäden durch die Nahrungsversorgung zu vermeiden und auf Dauer eine ausreichende und gerechte Ernährungssituation für die gesamte Weltbevölkerung zu erreichen bzw. zu sichern, ist die Einbeziehung auch der ökologischen, ökonomischen und sozialen Bestimmungsgrößen unausweichlich.
Die Notwendigkeit einer ganzheitlichen, vernetzenden Betrachtungsweise wird wieder ein mal drastisch deutlich bei der aktuellen, tiefgreifenden Krise im gesamten Bereich der Nahrungserzeugung, -verarbeitung und –vermarktung, die durch die BSE- und MKS-Problematik ans Tageslicht befördert wurde.
Die Ernährungsökologie fügt sich mit ihren umfassenden Ansprüchen nahtlos in das neue gesellschaftliche Leitbild der "Nachhaltigkeit" bzw. "Zukunftsfähigkeit" ein. Der Begriff der "nachhaltigen Entwicklung" (bzw. engl. "sustainable development") ist seit der "Konferenz für Umwelt und Entwicklung" in Rio de Janeiro 1992 verstärkt in die Diskussion gekommen. Darunter wird eine gesellschaftliche Entwicklung verstanden, "in der die Bedürfnisse heutiger Generationen befriedigt werden sollen, ohne die Bedürfnisbefriedigung kommender Generationen zu gefährden". Es geht also um die Chancengleichheit für alle heute auf der Erde lebenden Menschen (d. h. ausdrücklich auch derjenigen in Entwicklungsländern) und um Chancengleichheit für die Generationen unserer Kinder, Enkel usw.
Zum Leitbild der Nachhaltigkeit gehört unabdingbar die gleichberechtigte und integrierte Berücksichtigung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimensionen. Im Ernährungsbereich bietet es sich an, auch die gesundheitliche Dimension mit einzubeziehen. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten Probleme in diesen Bereichen dargestellt und anschließend Lösungsmöglichkeiten im Sinne eines zukunftsfähigen Ernährungsstils aufgezeigt werden (nach einem Übersichtsbeitrag von v. Koerber und Kretschmer 2000).
Ökologische Dimension
Die heutige Umweltsituation ist gekennzeichnet durch zahlreiche besorgniserregende Umstände, die teilweise miteinander verflochten sind. Zu nennen sind unter anderem folgende, bereits eingetretene Umweltschädigungen:
- Schadstoffbelastung von Luft, Wasser (Flüsse, Seen, Meere, Grundwasser), Böden und Nahrung mit chemischen und radioaktiven Substanzen
- Treibhauseffekt: globale Lufttemperatur seit 1900 um 0,4- 0,8°C gestiegen
- daraus folgende Klimaveränderungen: Abschmelzen der Polkappen und Gletscher, Anstieg der Meeresspiegel, Überflutungen, Stürme, Gewitter, Dürren usw.
- Zerstörung der Ozonschicht („Ozonloch“)
- Waldsterben, zunehmende Abholzung der Wälder
- Bodenzerstörung durch Erosion, Verdichtung, Versalzung, Versteppung und Verwüstung
- rapider Artenschwund bei Pflanzen und Tieren
- Überfischung der Meere
- ungelöste Problematik der Abfallentsorgung.
(Quellen: unter anderem Vereinte Nationen und Intergovernmental Panel on Climate Change)
Die Ursachen für diese Umweltbelastungen sind vor allem durch den Menschen hervorgerufene (anthropogene) Emissionen oder andere Auswirkungen von bestimmten Technologien, unter anderem:
- bei der Strom- und Wärmeerzeugung
- in Industrie und Handwerk
- beim Verkehr, vor allem Kraftfahrzeuge und Flugzeuge
- in der Landwirtschaft
- in Haushalten, besonders durch Heizen, Waschen und Reinigen
- bei Freizeitaktivitäten.
Ein erheblicher Teil der genannten Umweltprobleme innerhalb des Ernährungssystems resultiert aus der Art der Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und Zubereitung unserer Lebensmittel sowie der Entsorgung von Verpackungsmüll und organischen Abfällen.
Nach der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie beansprucht der Ernährungsbereich etwa 20 % der in Deutschland genutzten Primärenergie (vor allem fossile Brennstoffe wie Erdöl, Erdgas, Steinkohle). Die Ernährung ist somit erheblich am Ausstoß klimabelastender Treibhausgase beteiligt. In der genannten Studie wird die Ernährung für ebenfalls gut 20 % des in Deutschland vorhandenen Gesamtausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich gemacht.
Somit trägt der Bereich Ernährung in hohem Maße zur Umweltbelastung bei – umgekehrt ergibt sich bei einer zunehmend umweltfreundlichen Ausgestaltung ein bedeutendes ökologisches Einsparpotenzial.
Der genannte Anteil des Bedarfsfelds Ernährung an den Emissionen von Treibhausgasen in Höhe von 20 % des Gesamtausstoßes in Deutschland lässt sich den einzelnen Bereichen des Ernährungssystems zuordnen. Etwa die Hälfte der ernährungsbedingten Emissionen stammt aus der Landwirtschaft und davon der Hauptanteil aus der Produktion tierischer Nahrungsmittel. Schon hieraus wird deutlich, dass es die Umwelt ganz wesentlich entlastet, wenn weniger Fleisch gegessen wird. Dies erweist sich sogar als die wichtigste ökologische Maßnahme im Ernährungsbereich. Ein bedeutsamer Anteil der Emissionen entsteht im Handel (einschl. Verpackung und Transport der Lebensmittel), wohingegen die Verarbeitung einen relativ kleinen Anteil erzeugt. Mit knapp einem Drittel sind jedoch die Verbraucher stark beteiligt, besonders durch Heizen, Kühlen und Einkaufsfahrten mit dem Auto.
Die Schadstoffemissionen in den genannten Bereichen wirken nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Gesundheit der Menschen zurück – denn die toxikologische Qualität der Lebensmittel kann nur so gut sein wie die Umwelt, in der sie erzeugt werden. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Überschneidungen zwischen der Umweltverträglichkeit und der Gesundheitsverträglichkeit der Ernährung bestehen.
Ein Beitrag zur Problemlösung kann in den unten aufgeführten Grundsätzen für einen zukunftsfähigen Ernährungsstil liegen (besonders Nr. 1 – 5).
Ökonomische Dimension
Viele Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt damit, dass sie für andere Menschen Nahrung erzeugen, verarbeiten, handeln, zubereiten, entsorgen oder darüber beraten bzw. dafür werben. Insgesamt wurden 1998 in Deutschland 514,9 Mrd. € im Ernährungsbereich (sog. „Agribusiness“ oder „Agrarkette“) umgesetzt; dies sind fast 15 % des Produktionswerts der gesamten Volkswirtschaft. Dadurch werden 4 Mio. Arbeitsplätze gesichert, was rund 11 % aller deutschen Erwerbstätigen entspricht. Der Ernährungsbereich stellt damit einen bedeutenden Wirtschaftszweig dar.
Auf globaler Ebene ist die Wirtschaftssituation durch ein starkes Nord-Süd-Gefälle gekennzeichnet. Die 20 % Ärmsten der Weltbevölkerung verfügen nur über 1,4 % des Welteinkommens, die 20 % Reichsten dagegen über 83 %. Dieses Missverhältnis verdeutlicht die sehr unterschiedliche Verteilung des weltweiten Wohlstands.
Von den 6,3 Mrd. Menschen auf der Erde leben 2,8 Mrd. (also fast die Hälfte) in sog. relativer Armut, d.h. von weniger als 2 US-$ pro Person und Tag. Davon befinden sich sogar 1,2 Mrd. Menschen in sog. absoluter Armut, d.h. ihnen steht weniger als 1 US-$ pro Person und Tag zur Verfügung. Die meisten der Hungernden sind demnach zu arm, um sich die durchaus vorhandenen Lebensmittel zu kaufen. Hieraus ergeben sich große gesundheitliche Probleme durch Unterernährung und deren Folgeerscheinungen.
Insofern erscheint die Lebensmittelüberproduktion in der EU paradox, weil Überschüsse an Lebensmitteln produziert werden, für die ein erheblicher Teil des EU-Haushalts zwecks Exportsubventionierung oder Lagerung verwendet wird. Dies waren im Jahr 2000 6, 6 Mrd. €, das entspricht 16 % des Agrarhaushalts und 8 % des Gesamthaushalts der EU – in den 1980er und 1990er Jahren betrug dieser Anteil noch etwa die Hälfte des Agrarhaushalts.
Die Warenströme bei Import und Export von landwirtschaftlichen Produkten sind weltweit sehr unterschiedlich. Die Entwicklungsländer (die „Länder des Südens“) sind im internationalen Handel mehrheitlich Exporteure von Rohstoffen (für den Norden) und Importeure von Fertigprodukten (aus dem Norden). Da die Preise für Rohstoffe gegenüber Fertigprodukten seit den 1950er, besonders in den 1980er Jahren, stark gesunken sind, verschlechterte sich das reale Austauschverhältnis(”terms of trade”) für die Entwicklungsländer kontinuierlich; damit ist ein großer Einkommensverlust verbunden.
Eines der schwierigsten Probleme der Länder des Südens ist ihre oft extrem hohe Verschuldung im Ausland, verbunden mit großen Zahlungsschwierigkeiten für Zinsen und Tilgung. Um die benötigten Devisen zu erwirtschaften, wurde der Anbau von Exportprodukten verstärkt, wie Futtermittel, Südfrüchte, Kaffee, Kakao, Tabak, Tee, Baumwolle und Blumen.
Dadurch entsteht eine Flächenkonkurrenz gegenüber der Produktion von Nahrungsmitteln für die einheimische Bevölkerung. Der Konflikt besteht dabei weniger in einer direkten Verdrängung der Lebensmittelproduktion für den einheimischen Markt als viel mehr in qualitativer Hinsicht: Für Exportprodukte werden oft die besten Böden und die meiste Arbeitszeit verwendet. Viele Staaten fördern den Exportanbau zusätzlich mit Kreditprogrammen und Bereitstellung von Saatgut und Dünger.
Besonders kritisiert werden die billigen Importfuttermittel, da sie keinen notwendigen Beitrag zur Nahrungsversorgung der Menschen in Industrieländern leisten. Sie tragen lediglich zur höheren Rentabilität der Intensivtierhaltung in Deutschland, zum niedrigen Fleischpreis und damit auch zum überhöhten Fleischverzehr bei.
Die Landwirte in Entwicklungsländern können mit Exportprodukten und bestimmten tropischen Früchten und Gemüsen bei geeigneten Vermarktungsformen mehr Einkommen erzielen als mit lokal verkäuflichen Lebensmitteln. Dies tritt aber nur dann ein, wenn eine angemessene Verteilung der Erlöse an die Bauern erfolgt. Oft unterliegen sie jedoch einem unfairen Zwischenhandel, der – verbunden mit der eigenen Verschuldung – zu einer Verschlechterung der Einkommens- und Ernährungssituation führen kann.
Zunehmend treten auch in Deutschland und Europa erhebliche Existenzprobleme der kleinen und mittleren Betriebe innerhalb des Ernährungssystems auf. Infolge einer fragwürdigen Agrarpolitik wurde und wird die Industrialisierung und Konzentrierung in der Landwirtschaft, in den Verarbeitungsbetrieben und im Lebensmittelhandel gefördert. Kleinere und mittlere Betriebe können dabei wirtschaftlich immer weniger konkurrieren und müssen vielfach ihre Existenz aufgeben. So fielen beispielsweise in Deutschland seit 1965 von den ursprünglich 1,4 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben über eine Mio. dem sog. „Hofsterben“ zum Opfer.
Eine Alternative dazu ist ein Preissystem für Lebensmittel, das die Knappheit der Ressourcen (z.B. saubere Luft, Wasser und Boden sowie Energie) und auch die Fairness in den Handelsbeziehungen berücksichtigt. Dies drückt sich in den höheren Preisen für Öko-Lebensmittel und fair gehandelte Erzeugnisse aus. Durch die Umstellung auf ökologische Erzeugung bzw. Verarbeitung konnten viele landwirtschaftliche und verarbeitende Betriebe ihre Existenzen sichern. Allerdings hat sich in den letzten Jahren durch das allgemein niedrige Preisniveau für Lebensmittel die Situation auch für die Bio-Landwirte verschlechtert.
Es bestehen Vernetzungen zwischen gesundheitlichen und ökonomischen Aspekten der Ernährung. Die mittlerweile sehr hohen Kosten für ernährungsabhängige Krankheiten stellen – neben der Belastung für die Betroffenen – einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, so dass viele Akteure auf dem sog. „Gesundheitsmarkt“ an der Therapie von Krankheiten gut verdienen.
Im Jahre 2000 beliefen sich die Gesamtausgaben im sog. Gesundheitswesen auf etwa 427 Mrd. DM (entspricht 218 Mrd. €; Statistisches Bundesamt). Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit ergaben, dass rund ein Drittel dieser Kosten (also 142 Mrd. DM, entspricht 73 Mrd. €) direkt oder indirekt den ernährungsabhängigenKrankheiten zugerechnet werden kann. Die jeweiligen Kosten sind in den letzten 20 Jahren drastisch gestiegen, wobei der Anteil für ernährungsabhängige Krankheiten von 21 % auf 33 % angewachsen ist.
Da ökologisch erzeugte Lebensmittel die oben genannten negativen Auswirkungen nicht oder nur in geringem Maße aufweisen, sind diese eigentlich preis-werter als konventionelle Produkte. Die tatsächlich jedoch höheren Verkaufspreise für ökologische Erzeugnisse relativieren sich durch eine veränderte Lebensmittelauswahl (weniger Fleisch, Süßigkeiten, alkoholische Getränke und Genussmittel), wodurch die Haushaltsbudgets entlastet werden (ausführlicher Beitrag siehe Grundsatzartikel "Die Preisfrage"). Unter ökonomischen Gesichtspunkten ergeben sich besonders die folgenden Grundsätze Nr. 1 - 3 und 6.
Soziale Dimension
Die heutige soziale Situation in der Welt weist sehr große Unterschiede auf – sie ist eng mit den vorher dargestellten ökonomischen Aspekten verflochten.
Ernährungssicherheit wird oft im direkten Zusammenhang mit der Weltbevölkerungszahl gesehen. Das Bevölkerungswachstum verlangsamt sich zwar prozentual, ist aber nicht gestoppt: Im Jahr 2050 werden 9,3 Mrd. Erdenbürger erwartet, heute sind es etwa 6,3 Mrd. Das derzeitige Wachstum von jährlich etwa 80 Mio. Menschen findet fast ausschließlich in den Entwicklungsländern statt – und dort vor allem in den Städten. Mitte des 21. Jahrhunderts werden weltweit erwartungsgemäß etwa so viele Menschen in Städten leben wie heute insgesamt auf der Erde.
Ein Grund für das rasche Anwachsen der Städte liegt in der zunehmenden Industrialisierung der Landwirtschaft, die zur Vernichtung von Arbeitsplätzen der Kleinbauern und damit von Einkommens- und Versorgungsmöglichkeiten führt. Die daraus folgende Landflucht der Familien bedeutet eine zunehmende Verstädterung und verschärft die ohnehin schlechte Ernährungs- und Hygienesituation in den Elendsvierteln.
Viele der bei uns verkauften Konsumartikel (z. B. Kaffee, Tee, aber auch bestimmte Obst- und Gemüsearten) werden in Entwicklungsländern unter teilweise inhumanen Lebens- und Arbeitsbedingungen erzeugt, wie geringer Lohn und menschenunwürdige Arbeitsplätze und -zeiten.
Besonders die Kinderarbeit in gefährlichen und nicht fair entlohnten Produktionsprozessen ist ethisch nicht vertretbar, z.B. bei der Herstellung von Teppichen, Bällen und auch Orangensaft sowie bei der Ernte von Kaffee- und Kakaobohnen. Obwohl Kinderarbeit eine Menschenrechtsverletzung darstellt, zwingt unter anderem die Armut in Entwicklungsländern 250 Mio. Kinder zur Arbeit, etwa die Hälfte davon als Ganztagsbeschäftigte. Mindestens 60 Mio. Kinder arbeiten unter extremen Bedingungen in der sog. Schulden-Sklaverei – oder auch in der Prostitution. Da diese Kinder keine Bildungschancen haben, führt das zu einer riesigen Verschwendung von „Humankapital“ (Terre des Hommes).
In den Industrieländern ist in den letzten zwei Jahrzehnten eine starke Zunahme des Verzehrs von vorgefertigten Lebensmitteln (sog. Convenience-Produkten) und Fast-Food-Produkten feststellbar. Aufgrund der Vorbildfunktion, die der „reiche Norden“ bedenklicherweise für Menschen in den Ländern des Südens besitzt, halten diese Lebensmittel mittlerweile auch verstärkt Einzug in die Esskultur der Städte in Entwicklungsländern. Für die dortigen Menschen verdrängen die teuren Luxusprodukte die traditionellen „street foods“ (Mahlzeiten auf der Straße). Frauen verlieren damit die Möglichkeit, das Familieneinkommen aufzubessern.
Über ein Drittel der Welt-Getreideernte wird an Tiere verfüttert, um Fleisch(-Erzeugnisse), Milch(-Produkte) und Eier zu produzieren. In Deutschland sind es sogar 67 % des Getreides, die an Tiere verfüttert werden.
Aus energetischer Sicht ist die Umwandlung pflanzlicher Lebensmittel, die auch der Mensch direkt verzehren könnte, in tierische Produkte höchst ineffektiv: Für die Erzeugung von 1 kcal in Form von tierischen Lebensmitteln werden durchschnittlich 7 kcal aus pflanzlichen Futtermitteln gebraucht. Dabei gehen 65- 90 % der Nahrungsenergie aus den Futterpflanzen als sog. „Veredelungsverluste” verloren, was im Sinne der ökologischen und sozialen Kriterien der Nachhaltigkeit eine große Ressourcenverschwendung darstellt. Durch den überhöhten Fleischverzehr in Deutschland nehmen wir somit von der weltweit produzierten Nahrungsmenge mehr, als uns nach Aspekten der Gerechtigkeit zusteht. Das Welternährungsproblem ist folglich kein Produktionsproblem, sondern ein Verteilungsproblem.
Eine Neuorientierungunserer Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit bedarf auch der Überschaubarkeit (Transparenz) sozialer Beziehungen. Eine wiedergewonnene „Nähe“ kann den Raum schaffen für Verantwortung und Vertrauen. Insbesondere das Vertrauen ist in den letzten Jahren durch die Skandale im Lebensmittelsektor zurückgegangen, auch weil die einzelnen Stufen und Orte der Herstellung und Verarbeitung für die Verbraucher kaum mehr nachvollziehbar sind.
Gesundheitliche Dimension
Bei der globalen Gesundheitssituation existieren ganz andere Problemfelder als in Deutschland: Obwohl ausreichend Lebensmittel für die gesamte Weltbevölkerung (derzeit 6,3 Mrd. Menschen) produziert werden, leben derzeit etwa 840 Mio. Menschen in Hunger und ständiger Unterernährung. In den Entwicklungsländern sterben mehr als 30.000 Kinder täglich, davon über die Hälfte an Unterernährung und deren Folgen. Weit verbreitet ist außerdem ein Mangel an Mikronährstoffen: Der Eisenmangel betrifft etwa 1,5 Mrd. Menschen, vor allem Frauen und Kinder; von Jodmangel sind etwa 740 Mio. Menschen betroffen; 200 Mio. Menschen leiden an Vitamin-A-Mangel. Millionen von Menschen sterben an Seuchen wie Malaria, Cholera, Typhus, Tuberkulose, Hepatitis B, Wurmkrankheiten und AIDS.
In den reichen Industrieländern stellt sich die aktuelle Gesundheitssituation fast entgegengesetzt dar. Im 19. Jahrhundert starben auch in Deutschland Hunderttausende an Cholera, Pocken und Fleckfieber; Lungenentzündung und Tuberkulose waren lebensgefährliche Krankheiten. Heute treten dagegen Gesundheitsprobleme in den Vordergrund, die mit Bewegungsarmut, Fehlernährung, Stress, Rauchen und hohem Alkoholkonsum in Zusammenhang stehen.
Ernährungsabhängige Krankheiten liegen vor, wenn ein bestimmtes Ernährungsverhalten eine Ursache bzw. einen Risikofaktor darstellt oder wenn Ernährungsmaßnahmen in der Therapie den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen.
Zu den ernährungsabhängigen Krankheiten zählen unter anderem Karies, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Stuhlverstopfung, Kropf, Gallensteine, Gicht und Diabetes mellitus. Auch bei zahlreichen Krebsformen, insbesondere von Magen, Dickdarm, Brustdrüse, Lunge und Prostata, wird den Umweltfaktoren – und hier insbesondere der Ernährung - eine entscheidende Bedeutung beigemessen.
Die Ursache für ernährungsabhängige Krankheiten ist in Industrieländern zumeist eine übermäßige, unausgewogene oder bezüglich der essenziellen (lebens- und zufuhrnotwendigen) Nährstoffe unzureichende Ernährung, die die Aufgabe der optimalen Struktur- und Funktionserhaltung des Organismus nicht erfüllen kann. Bei manchen Erkrankungen, z.B. Übergewicht, können weitere Ursachen wie Bewegungsmangel hinzukommen. Wenn ernährungsabhängige Krankheiten bereits vorliegen, ist teilweise eine Ernährungsumstellung allein zur erfolgreichen Behandlung nicht mehr ausreichend und es werden zusätzliche Therapiemaßnahmen notwendig. Wirksamer und aus Patientensicht vernünftiger ist es, durch Veränderung der Ernährung und anderer Lebensgewohnheiten der Entstehung dieser Krankheiten vorzubeugen.
Die Weltgesundheitsorganisation stellt in ihrem aktuellen „Gesundheitsbericht“ fest, dass lediglich zehn Risikofaktoren für 40 % aller Todesfälle weltweit verantwortlich sind. Dabei sei der Kontrast zwischen reichen und armen Ländern „schockierend“. In den armen Ländern dominieren fünf Risikofaktoren: zu niedriges Körpergewicht, ungeschützter Geschlechtsverkehr, Eisenmangel, Rauch durch das Verheizen von Biomasse in geschlossenen Räumen und schmutziges Wasser. Dagegen kämpft die reiche Welt mit folgenden Krankheits- bzw. –Todesrisiken: Tabakrauchen, Alkoholkonsum, Bluthochdruck, Übergewicht und hohem Cholesterin. Derzeit sterben weltweit jährlich rund 5 Mio. Menschen an den Folgen von Tabakrauchen, den Vorhersagen zufolge werden es bis 2020 etwa 9 Mio. Menschen pro Jahr sein, sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die weiteren vier Hauptrisiken sind primär auf Fehlernährung zurück zu führen, was die hohe Bedeutung einer sinnvollen Ernährung unterstreicht.
Die Realisierung einer gesunderhaltenden Ernährung ist nicht nur ein naturwissenschaftlich-technisches Problem, sondern auch ein Informations- und vor allem ein Motivations- und Umsetzungsproblem. Es gilt, das Bewusstsein zu fördern, dass jeder Einzelne für seine Gesundheit mitverantwortlich ist und entsprechende Schritte zu seiner Gesunderhaltung unternehmen kann und sollte. So besteht eine Diskrepanz zwischen Ernährungswissen und den tatsächlichen Handlungen sowohl bei der Bevölkerung als auch bei den gesellschaftlichen Entscheidungsträgern. Eine rationale Wissensvermittlung wirkt im Bereich Ernährung weniger erfolgreich als praktische Erfahrungen, die mit Genuss gekoppelt sind. Zusätzlich sind wirtschaftliche, rechtliche und (gesundheits-)politische Maßnahmen erforderlich.